Hilfe, ich muss zur Begutachtung!

Worauf muss ich achten?​

Eine Begutachtung dient dazu, Ihre gesundheitlichen Beschwerden und die Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit möglichst objektiv feststellen zu lassen. Dies hat zur Folge, dass eine Gutachtensperson die geklagten Beschwerden nicht einfach für real existierend annimmt wie Ihre behandelnde Ärztin, sondern Ihre Aussagen hinterfragen und auf Übereinstimmung mit den Akten sowie dem Verhalten an der Begutachtung überprüfen wird (Stichwort: Konsistenz).

  • Es empfiehlt sich generell – wenn immer es geht – bei beruflichen Eingliederungen und Eingliederungsmassnahmen mitzumachen und hier vollen Einsatz zu zeigen. Arbeitsversuche, Arbeitstrainings oder Arbeitseinsätze sind ein gutes Indiz für die tatsächliche Leistungsfähigkeit einer versicherten Person. Voraussetzung ist, dass die Teilnahme aus eigenem Antrieb und motiviert erfolgt; Bestenfalls binden Sie Ihre behandelnde Ärztin ein, welche Ihre gesundheitliche Situation während solchen Eingliederungsversuchen medizinisch überwacht und Beschwerdeverstärkungen bei Belastungen festhalten kann.

  • Unter Umständen empfiehlt sich, spätestens 14 Tage (besser 30 Tage) vor der Begutachtung ein Schmerztagebuch zu führen und dieses an die Untersuchung mitzunehmen. Ein Muster für ein Schmerztagebuch finden Sie hier.

  • Überlegen Sie sich vor der Begutachtung nochmals, welche Einschränkungen in Beruf, Haushalt und Freizeit bestehen, wann diese in Erscheinung treten, was die Beschwerden verstärkt und was Linderung verschafft; Auch ein erhöhter Zeitbedarf für Aufgaben (bspw. für die Besorgung des Haushalts oder administrativer Belange) ist versicherungsmedizinisch relevant.

  • Es kann sich je nach Konstellation v.a. bei psychischen Leiden empfehlen, kurz vor der Begutachtung nochmals den behandelnden Facharzt aufzusuchen, damit dieser eine umfassende Untersuchung durchführen kann (inkl. einer vollständigen medizinischen Befundaufnahme). Dies kann später helfen, Widersprüche im Gutachten zu identifizieren.

  • Bestellen Sie bei der Sozialversicherung die vollständigen Akten und kontrollieren Sie diese auf Vollständigkeit. Fehlen bspw. Akten von früheren Sozialversicherungsverfahren (bspw. Geburtsgebrechen?) oder aktuelle Arztberichte, reichen Sie diese nach.

  • Vergewissern Sie sich vor der Begutachtung, dass der Gutachter allenfalls nachgereiche Akten erhalten hat und studieren konnte.

Das Wichtigste zuerst: Seien Sie authentisch!
Schildern Sie Ihre Beschwerden ohne Übertreibung (aber auch ohne Untertreibung)

Ihre Glaubwürdigkeit ist Ihr wichtigstes Kapital. Deswegen gilt es sämtliche Fragen wahrheitsgetreu und nach bestem Wissen und Gewissen zu beantworten und auch nichts zu verschweigen

Widersprüchliche Aussagen sind zu vermeiden (auch im Vergleich zu den Akten oder frühere Angaben (bspw. Angabe, nicht mehr Auto zu fahren, obwohl in den Akten kurze Fahrten mit dem Auto vermerkt sind / Angabe massivste Schmerzen zu haben, obwohl man während der Begutachtung ruhig und ohne Schmerzanzeichen sitzen konnte)

Nichts ist für Ihren Fall negativer, als wenn der Gutachter vermerkt, Sie würden übertreiben (sog. Aggravation) oder wenn sich Ihre Angaben nicht mit früheren Aussagen in Einklang bringen (Klassiker: «Ich fahre nicht mehr Auto», man kann aber aus früheren Abklärungen ersehen, dass Sie für Grosseinkäufe das Auto benutzen). Deswegen nochmals: Bleiben Sie sich selber und bei der Wahrheit – verstellen Sie sich nicht

Versuchen Sie sich der Gutachterin gegenüber vollständig zu öffnen und lassen Sie «alles raus», was sie bedrückt oder was sie loswerden wollen; Von der Begutachtung, die bestenfalls 2-3 Stunden dauert, hängt vieles ab. Sie haben nur dieses Zeitfenster, um der Gutachtensperson Ihre gesundheitliche Situation zu schildern. Beantworten Sie alle Fragen nach bestem Wissen und Gewissen.

Vorsicht ist bei Suggestivfragen geboten («Den Haushalt, den können Sie schon machen, oder?» «sie sind doch kräftig gebaut, da sollten Sie schon 8 Stunden einer Arbeit nachgehen können?»).

War Ihre Kindheit oder Jugend auffällig? Erwähnen Sie solche Auffälligkeiten wie Probleme in der Schule oder Lehre, Heimaufenthalte, Geburtsgebrechen usw., v.a. wenn diese nicht aktenkundig sind

Beachten Sie diese Grundsätze auch, wenn der Gutachter Tests (Fragebögen, usw.) mit Ihnen machen möchte: Füllen Sie diese nach bestem Wissen und Gewissen aus (es ist in der Regel unplausibel, wenn sämtliche Fragen jeweils mit dem schlechtesten Wert angekreuzt werden, bspw. aktuelle Schmerzen in einer Skala «10» bei einer Skala von «1–10»)

Die Schilderung des Tagesablaufs ist von zentraler Bedeutung
Schildern Sie nicht nur Tage, an denen Sie (ausnahmsweise) einmal viel gemacht haben, sondern auch solche Tage, an denen es Ihnen schlechter ging; Sie können auch einen «Durchschnittstag» schildern

Wirken sich Ihre Beschwerden «nur» im beruflichen Bereich aus oder auch in der Freizeit?

  •  Mussten Sie Freizeitaktivitäten aufgeben?
  •  War Ihr soziales Umfeld früher grösser?
  •  Haben Sie Reise- und Ferienaktivitäten eingeschränkt?
  •  Haben Sie vermehrt Probleme im privaten Umfeld (Beziehungsprobleme, Konflikte mit Bekannten, Arbeitgebern, usw.)
  •  Wie wirken sich Alltagsbelastungen (beruflich, ausserberuflich) konkret aus (bspw. «nach dem gestrigen Arbeitsversuch musste ich Schmerzmittel nehmen und mich 2 Stunden hinlegen»)

Wie war Ihr Leben vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung?

  •  Hatten Sie mehr Hobbies und soziale Kontakte?
  •  Was waren Sie zuvor im Stande zu Leisten (beruflich, ausserberuflich, familiär)?
  •  Wie sieht es im Vergleich dazu heute aus?

Wie wirken sich Belastungen auf Ihre Beschwerden aus?

  •  Haben sich die Beschwerden verstärkt, während den beruflichen Massnahmen?
  •  Welche Tätigkeiten bewirken eine Verschlimmerung der Beschwerden?

 

  • In der Regel ist es nicht notwendig und u.U. sogar kontraproduktiv, die GutachterInnen aus medizinischer Sicht zu überzeugen oder aufzuklären. Das Medizinische ist die Domäne des Gutachters, Sie als versicherte Person sollten hingegen in der Lage sein, die Beschwerden möglichst präzise zu schildern.

  • Pauschale Aussagen wie, «alles tut weh» oder «ich kann gar nichts mehr machen» sind zu vermeiden und können den Eindruck erwecken, die Schilderungen seien inkonsistent oder nicht plausibel.

Sie werden gefragt, welche Medikamente Sie regelmässig einnehmen. Wichtig ist, dass Sie nur solche Medikamente angeben, die Sie auch tatsächlich nehmen. Oft wird bei der Begutachtung Blut abgenommen und ein sog. Medikamentenspiegel durchgeführt. Ergibt sich, dass trotz Angabe der versicherten Person keine Wirkstoffe im Blut nachgewiesen werden konnten, liegt ein Widerspruch vor, welcher sich zu Ihren Ungunsten auswirken kann.

  • Strengen Sie sich bei neuropsychologischen Tests an!

  • Auf keinen Fall sollten Sie absichtlich ein schlechtes Resultat provozieren. Neuropsychologische Tests enthalten sog. Symptomvalidierungsverfahren. Dabei handelt es sich vereinfacht gesagt um «Fangfragen», die auch ein Mensch mit mittelschwerer Hirnschädigung beantworten kann. Werden diese Fragen falsch beantwortet, schliesst der Gutachter auf ungenügende Leistungsbereitschaft, was sich sehr negativ auf das Resultat auswirken kann.

Begutachtungen für Sozialversicherungen werden standardmässig auf Ton aufgenommen, sofern die versicherte Person nicht schriftlich darauf verzichtet (Art. 44 Abs. 6 ATSG). Wir empfehlen grundsätzlich, nicht auf die Tonaufnahme zu verzichten.

Merken Sie sich Beginn und Ende der Begutachtung. Dies dient allenfalls zu Beweiszwecken.

Waren Sie mit der Begutachtung nicht einverstanden? Kam es bspw. zu Unterbrüchen oder hat Sie die Gutachtensperson unfreundlich behandelt, ständig nicht ausreden lassen oder deplatzierte Bemerkungen gemacht? Haben Sie sich nicht ernst genommen gefühlt?

  • Wenn ja: Hier gilt es schnell (innert weniger Tage) zu reagieren und die Sozialversicherung per Einschreiben über solche Vorfälle zu orientieren.
  • Orientieren Sie Ihre behandelnde Ärztin und vereinbaren Sie dort einen Termin, insbesondere wenn Sie eine Zustandsverschlechterung feststellen; die behandelnde Arztperson sollte auch in so einem Fall einen medizinischen (insb. psychopathologischen) Befund aufnehmen;
  • Es empfiehlt sich, eine Rechtsberatung einzuschalten.