Diskriminierende Sozialrechtsprechung?
Vor über 30 Jahren hat das Bundesgericht beschlossen, psychische Unfallfolgen bei der gesetzlichen Unfallversicherung nur noch im Falle von Extremereignissen anzuerkennen.¹ Wenige Jahre später urteilte es, dass sämtliche nicht objektivierbaren Unfallfolgen wie HWS-Distorsion, milde traumatische Hirnverletzungen, chronische Schmerzen usw. ebenfalls nur noch in Ausnahmefällen als Unfallfolgen anerkennt werden, selbst wenn diese klar auf ein Unfallereignis zurückzuführen sind.² Diese äusserst restriktive Praxis hat dazu geführt, dass Unfallversicherungen sich heute oftmals ihrer Leistungspflicht entziehen können und die Beschwerden auf «Krankheit» abgeschoben werden können.
Bei der Invalidenversicherung werden sogar sämtliche psychischen Beschwerden gesondert geprüft. Selbst wenn gutachterlich eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird, kann der Rechtsanwender davon abweichen, wenn gewisse Indikatoren nicht in genügender Art und Weise ausgewiesen sind.³
Somit werden auch noch im 21. Jahrhundert psychisch erkrankte oder Verunfallte, deren Leiden sich (noch) nicht bildgebend nachweisen lässt, diskriminiert und stigmatisiert. Ob die strenge Rechtsprechung tatsächlich zu geringeren Gesamtkosten führt, ist stark zu hinterfragen. Denn die Geschädigten landen statt bei der Unfallversicherung bei der IV, oder statt bei der IV bei der Sozialhilfe. Wir von Versicherte Schweiz fordern, dass die künstliche Unterscheidung zwischen Krankheits- und Unfallfolgen aufgehoben wird.
¹ BGE 115 V 133
² BGE 117 V 359; 134 V 109
³ BGE 141 V 281
wirtschaftlich abhängige Gutachter?
Es gibt medizinische Gutachter, die beinahe ihre gesamten Einkünfte mit Gutachten für die Invalidenversicherung generieren. Das Bundesgericht erachtet dies allerdings nicht für problematisch, sondern ist der Auffassung, dass diese Mediziner gleichwohl völlig neutral und unabhängig urteilen.¹ Dies hat dazu geführt, dass sich einige wenige Gutachter, die als Hardliner gelten, fast den gesamten Gutachtermarkt aufteilen konnten.
Zwar werden polydisziplinäre Gutachten mittlerweile mittels Zufallsgenerator vergeben. Ab 2022 sollen auch bidsizplinäre Gutachten mittels Zufall ausgewählt werden. Dies führt aber nicht zu einem Bruch der wirtschaftlichen Abhängigkeit. Immer noch wird die Arbeit von Gutachterinnen und Gutachtern in erster Linie nach der Quantität und nicht der Qualität vergütet. Gutachter, welche viel Zeit und Mühe aufwenden, qualitativ hochwertige Gutachten zu erstellen, erhalten dieselbe Pauschale, wie Gutachter, die ihre Arbeit als «Massengeschäft» verstehen.
Gutachter, die von einer Versicherung wirtschaftlich abhängig sind, können unseres Erachtens nie vollumfänglich unabhängig sein. Wir fordern daher, dass Gutachter nicht mehr länger von Versicherungen bezahlt werden, sondern entweder die Spitäler verpflichtet werden, Gutachten anzufertigen oder eine unabhängige Institution geschaffen wird, welche versicherungsmedizinische Gutachten nach neuesten Standards erstellen.
¹ BGE 137 V 210; BGE 139 V 349; Urteil 9C_212/2020 vom 4.9.2020
Exorbitante Gerichtskosten
Wussten Sie, dass eine geschädigte Person, die einen Haftpflichtprozess gegen eine Versicherung einleitet, zuerst einen Kostenvorschuss in der Höhe von mehreren zehntausend Franken an das Gericht zu leisten hat? Kommt hinzu, dass Haftpflichtprozesse insbesondere in komplexen Personenschadenfällen gut und gerne 10 Jahre dauern, in Einzelfällen sogar 17 oder 18 Jahre und dies in der Schweiz!¹ Im Falle des Unterliegens werden der geschädigten Partei nicht nur die Gerichts- und Begutachtungskosten – die ebenfalls gut und gerne Fr. 20’000 oder mehr betragen können – auferlegt, sondern sie hat auch neben den eigenen Anwaltskosten die Anwältin der gegnerischen Haftpflichtversicherung zu entschädigen. Dies kann bei Streitwerten von 1 Million schnell Gesamtkosten von Fr. 100’000 bis Fr. 200’000 oder mehr verursachen! Ohne Rechtsschutzversicherung ist Prozessieren für den Mittelstand somit faktisch unmöglich oder bedeutet als Einsatz die gesamte finanzielle Existenz!
Ein Missstand, der dringend korrigiert gehört und eines der wohlhabenden Rechtsstaates der Welt schlichtweg unwürdig ist. Das Bundesgericht hat dabei risikominimierende Rechtsbehelfe wie die Teilklage zu Lasten der geschädigten Partei massiv eingeschränkt. Die Versicherung kann auf eine Teilklage mit einer sog. negativen Feststellungswiderklage reagieren, womit jeder Teilklageprozess zu einem unkalkulierbaren Risiko wird.
¹ So wurde bspw. ein im Jahre 1999 eingeleiteter Prozess, der die haftpflichtrechtlichen Folgen eines Autounfalls aus dem Jahre 1993 zum Gegenstand hatte, erst nach beinahe 18-jähriger Prozessdauer mit dem Urteil des BGer 4A_204/2017 vom 29. August 2017 rechtskräftig beendet. Das Unfallereignis aus dem Jahr 1997 mit Klage im Jahr 2003 kam nach 17-jähriger Prozessdauer mit dem Urteil des BGer 4A_481/2019 vom 27. Februar 2020 zur Ruhe.
Ellenlange Haftpflichtprozesse?
Wussten Sie, dass eine geschädigte Person, die einen Haftpflichtprozess gegen eine Versicherung einleitet, zuerst einen Kostenvorschuss in der Höhe von mehreren zehntausend Franken an das Gericht zu leisten hat? Kommt hinzu, dass Haftpflichtprozesse insbesondere in komplexen Personenschadenfällen gut und gerne 10 Jahre dauern, in Einzelfällen sogar 17 oder 18 Jahre und dies in der Schweiz!¹ Im Falle des Unterliegens werden der geschädigten Partei nicht nur die Gerichts- und Begutachtungskosten – die ebenfalls gut und gerne Fr. 20’000 oder mehr betragen können – auferlegt, sondern sie hat auch neben den eigenen Anwaltskosten die Anwältin der gegnerischen Haftpflichtversicherung zu entschädigen. Dies kann bei Streitwerten von 1 Million schnell Gesamtkosten von Fr. 100’000 bis Fr. 200’000 oder mehr verursachen! Ohne Rechtsschutzversicherung ist Prozessieren für den Mittelstand somit faktisch unmöglich oder bedeutet als Einsatz die gesamte finanzielle Existenz!
Ein Missstand, der dringend korrigiert gehört und eines der wohlhabenden Rechtsstaates der Welt schlichtweg unwürdig ist. Das Bundesgericht hat dabei risikominimierende Rechtsbehelfe wie die Teilklage zu Lasten der geschädigten Partei massiv eingeschränkt. Die Versicherung kann auf eine Teilklage mit einer sog. negativen Feststellungswiderklage reagieren, womit jeder Teilklageprozess zu einem unkalkulierbaren Risiko wird.
¹ So wurde bspw. ein im Jahre 1999 eingeleiteter Prozess, der die haftpflichtrechtlichen Folgen eines Autounfalls aus dem Jahre 1993 zum Gegenstand hatte, erst nach beinahe 18-jähriger Prozessdauer mit dem Urteil des BGer 4A_204/2017 vom 29. August 2017 rechtskräftig beendet. Das Unfallereignis aus dem Jahr 1997 mit Klage im Jahr 2003 kam nach 17-jähriger Prozessdauer mit dem Urteil des BGer 4A_481/2019 vom 27. Februar 2020 zur Ruhe.
Realitätsfremde Arbeitsplatzannahmen?
Im Bereich des Sozialversicherungsrechts gilt das Konzept des ausgeglichenen Arbeitsmarktes. Dies bedeutet vereinfacht gesagt, dass es für jede und jeden, sei er noch so eingeschränkt, theoretisch eine Stelle auf dem Arbeitsmarkt gibt. Egal ob jemand Einarmig ist, regelmässige zusätzliche Pausen benötigt oder aufgrund einer Soziopathie nicht unter Leuten arbeiten kann – jeder findet in dieser fiktiven Welt eine Stelle. Sogar mit «sozialem Entgegenkommen des Arbeitgebers» kann in der Scheinwelt des ausgeglichenen Arbeitsmarktes gerechnet werden.
Die Realität sieht freilich ganz anders aus. Die wenigsten gesundheitlich eingeschränkten Versicherten finden eine Stelle und wenn jemand das Glück hat, einen Arbeitgeber zu finden, erzielt er so gut wie nie das Einkommen, welches die Invalidenversicherung oder die Unfallversicherung errechnet hat. Im Ergebnis werden Geringverdiener massiv diskriminiert, aber auch der Mittelstand erhält durch realitätsfremde Annahmen nicht diejenigen Leistungen, die dem tatsächlichen Erwerbsausfall entsprechen. 10-20% weniger Einkommen resultiert in der Regel allein aufgrund der Tatsache, dass jemand gesundheitlich eingeschränkt ist, was unabhängige Untersuchungen zeigen.¹
Einseitige Versicherungsmedizin
In den letzten 20 Jahren hat sich neben der uns allseits bekannten Behandlungsmedizin eine neue Disziplin entwickelt: Die Versicherungsmedizin. Diese wird in der Schweiz im wesentlichen von der Swiss Insurance Medicine aber auch vom Bundesgericht geprägt. Durch den in der Schweiz herrschenden Mangel an qualifizierten Gutachterinnen und Gutachtern weichen die sog. MEDAS Stellen aus und suchen Mediziner im Ausland. Mit schwerwiegenden Folgen: Es werden Gutachter eingesetzt, die nicht mit den schweizerischen Gepflogenheiten, geschweige denn mit den rechtlichen Rahmenbedingungen vertraut sind.
Die Versicherungsmedizin wirbt mit dem Versprechen, als einzige Disziplin festlegen zu können, wieviel ein Mensch noch im Stande ist zu arbeiten. Unseres Erachtens eine krasse Selbstüberschätzung und zudem bei den jetzigen Rahmenbedingungen mit wirtschaftlich abhängigen Gutachtern kaum einzuhalten. Die behandelnden Ärzt:innen kennen den Patienten in der Regel wesentlich besser, ihrer Stimme sollte wieder mehr Gewicht beigemessen werden. Zudem ist der Versicherungsmedizin im Rahmen der ärztlichen Ausbildung viel mehr Beachtung zu schenken.